Als Berliner ein Unternehmen in Freiburg / Elbe gründen

Als Berliner ein Unternehmen in Freiburg / Elbe gründen

27. November 2020 2 Von SAG

Anfang 2019 hat Kevin Stern die Tischlerei Brauer, einen Traditionsbetrieb in Freiburg/Elbe im Landkreis Stade übernommen und wurde mit dem „Gründerstar 2019“ ausgezeichnet. Der gebürtige Berliner lebt nun mit seiner Frau und den zwei gemeinsamen Kindern in Stade. Wir haben mit ihm über das Arbeiten im ländlichen Raum und die Lebensqualität der Region abseits der Großstadt gesprochen. Viel Spaß beim Lesen!

Hallo Herr Stern, wie kommt man auf die Idee als Berliner nach Freiburg / Elbe zu gehen, um dort einen traditionellen Handwerksbetrieb zu übernehmen?

Ich komme aus Berlin, habe dort mein Abitur gemacht und ein Wirtschaftsingenieur-Studium angefangen. Nach zwei Semestern an der TU Berlin habe ich mir die Frage gestellt, ob es das Richtige für mich ist, sich durch die Regelstudienzeit von 14 Semestern zu quälen.

Handwerk fand ich schon immer spannend, aber eine reine Ausbildung zum Tischler wollte ich nicht machen. Im Internet habe ich einen dualen Studiengang in Hamburg gefunden und mich beworben, schon mit dem Wunsch, etwas im Tischlerbereich zu machen. Dann habe ich die Zusage von der Tischlerei Brauer erhalten, die als Kooperationspartner dabei war und konnte mein duales Studium anfangen: Vier Jahre BWL auf Bachelor, parallel die dreijährige Ausbildung zum Tischler und dann habe ich noch den Tischler-Meister draufgesattelt. Ich bin seit 2007 im Betrieb und Anfang 2019 habe ich den Betrieb übernommen.

Sie sind 2019 mit dem Gründerstar der Wirtschaftsförderung Landkreis Stade GmbH ausgezeichnet worden. Wie passt das mit der Übernahme eines Traditionsbetriebs zusammen, der seit 1865 existiert?

Ich hatte den Gründerstar ursprünglich gar nicht auf dem Zettel, weil ich mich auch nicht als Gründer fühlte, sondern als „Übernehmer“. Die Volksbank Cuxhaven-Stade, die auch die Übernahme finanziert hatte, hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man sich auch als Nachfolger eines Unternehmens bewerben kann, solange die Übernahme nicht länger als zwei Jahre her ist. Ich habe dann erläutert, welche Pläne und Ziele ich habe, z.B. die Einführung von Social Media wie Facebook und Pinterest zur Gewinnung von Nachwuchsfachkräften. Ich wollte ein wenig neuen Pepp, neuen Schwung reinbringen, aber den Laden nicht komplett auf links drehen.

Viele Gründungsunternehmen sind hip, tech-lastig und haben einen coolen Co-Working Space mitten in der City. Was zeichnet Ihr Unternehmen aus und warum sollte ich mich als Fachkraft dafür entscheiden, bei Ihnen zu arbeiten?

Besonders in Zeiten von Corona wichtig: Uns gibt es seit 1865, wir sind lange am Markt etabliert, dementsprechend haben wir einen großen Kundenstamm. Wir bieten Luxusgüter an und dafür braucht man eine zahlungsfähige Kundschaft. Anders als bei einem Start-up sind wir schon lange da und bieten einen sicheren Arbeitsplatz.

Dennoch sind einige Dingen bei uns ähnlich wie bei einem Start-up: zum Beispiel flache Hierarchien.

Wie werden flache Hierarchien bei Ihnen gelebt?

Das ist bei uns ein großes Thema. Die Mitarbeiter werden in die Entscheidungsprozesse einbezogen, z.B. beim Kauf eines neuen Firmentransporters. Die Gesellen fahren einen spezifischen Transporter, das ist deren Auto, sie verbringen viel Zeit darin und werden daher auch gefragt, welches Modell sie gern hätten.  Genauso mit den Maschinen und Werkzeug: Die Mitarbeiter können entscheiden, mit welchem Modell von welcher Marke sie arbeiten möchten. Dann wird die Sache auch gemeinschaftlich getragen und man agiert mehr als Team. Nur so kommen wir auch weiter, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Wir sind auch ein relativ junges Team und viele sind um die 30.

Welche Benefits bieten Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Freiburg / Elbe ist ja auch recht weit ab vom Schuss?

Die Nachwuchsgewinnung ist auf jeden Fall ein Problem und es ist schon schwierig, Leute aus Stade hierher zu bekommen, allein aufgrund der Anbindung. Deshalb haben wir eine Azubi-WG hier um die Ecke, damit diese nicht immer pendeln müssen. Das ist schon ein Pluspunkt, wir hatten sogar schon Azubis aus Freiburg im Breisgau bei uns  oder auch aus den neuen Bundesländern.

Ansonsten möchte ich das Arbeiten bei uns möglichst komfortabel machen, eben beispielsweise durch die Berücksichtigung von Wünschen der Arbeitnehmer, oder die Möglichkeit, das Equipment der Tischlerei auch privat zu nutzen.

Viele Ihrer Aufträge sind in Hamburg. Wie versuchen, Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Pendelei zu entlasten und eine gute Work-Life-Balance zu ermöglichen?

Bei uns gibt es Regelungen für den Fahrtzeitenausgleich und wir versuchen natürlich auch Fahrtzeiten einzusparen. Das heißt, wenn wir Baustellen haben, bei denen wir nicht jeden Tag neues Material brauchen, dann besteht die Möglichkeit der Übernachtung in Hamburg.

Ein anderer Vorteil aus Sicht der Gesellen ist es, dass wir bei einer Übernachtung in Hamburg die Möglichkeit einer 4-Tage-Woche haben, bei der sie von Montag bis Donnerstag von 7 bis 17 oder 18 Uhr arbeiten (mit Pause). So machen sie entsprechend viele Stunden und schaffen etwas weg. Donnerstagabend fahren alle zurück nach Freiburg und haben drei komplette Tage am Wochenende frei. Das ist vor dem Hintergrund der Work-Life-Balance nicht zu verachten und die Mitarbeiter wissen das zu schätzen, insbesondere gegenüber monetären Anreizen. 

Ihr Appell für das Arbeiten im ländlichen Raum – Warum sollten junge Fachkräfte zu Ihnen und generell nach Freiburg / Elbe kommen?

Das Handwerk hat goldenen Boden, gerade in Zeiten von Corona!

Und das Ländliche: Es ist so schön entschleunigend hier, gerade im Vergleich zum hitzigen Alltag in der Großstadt, wie ich ihn selber aus Berlin kenne. Wenn ich mal in Hamburg bin, dann ist das schön, aber wir freuen uns auch jedes Mal, wenn wir nach Hause fahren und alles entspannter ist. Ich finde es schön, wenn man aufs Land rauskommt, entschleunigt, naturnah lebt und aufwächst.

Und unsere Werkstattflächen sind hier deutlich größer als in Hamburg. Dort ist alles relativ beengt.

Außerdem: Im Speckgürtel von Hamburg wird alles teurer und hier kann man sich Eigentum noch leisten. Das gilt auch für unsere Arbeitnehmer. Jeder von ihnen hat hier ein eigenes Haus in Kehdingen. Zudem hat man das Wasser vor der Haustür. Das sind schon Dinge, die ich nicht mehr missen möchte.

Was vermissen Sie aus Ihrer alten Heimat Berlin?

Zum Teil meine Familie, meinen Bruder, die sehe ich relativ selten. Berlin ist natürlich schön, multikulti, du wirst nicht schief angeguckt. Da sind die Norddeutschen etwas anders, die Berliner haben einfach ihre  Kodderschnauze. Aber sonst vermisse ich nichts. 

Die Tischlerei Brauer als Arbeitgeber in 3 Hashtags?

#Traditionsbetrieb, #innovativ und #abwechslungsreich.

Und 3 Hashtags für die Region?

#Entschleunigung, #Ausblick/Weite und #Zusammenhalt.

Herr Stern, herzlichen Dank für das Gespräch!

Auf dem YOJO-Unternehmensprofil findet ihr weitere Infos zur Tischlerei Brauer.

Fotos: © Tischlerei Brauer